Eine raffiniert humane Kur – Hermann Hesse in Badenweiler

Hermann Hesse und Badenweiler in Texten, Briefen und Bildern

In Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag veröffentlich der Kulturverlag ART+WEISE in diesem Band einige amüsante und aufschlussreiche persönliche Briefe und Schriften H. Hesses zu seinen Kuraufenthalten in Badenweiler.

Im Juli 1909 kam Hermann Hesse zum ersten Mal nach Badenweiler. Im familiär geführten Sanatorium der Villa Hedwig befreundete er sich mit Dr. Albert Fraenkel, den er 1960 in seinem Rückblick »Ein paar Erinnerungen an Ärzte« als den bedeutendsten aller Mediziner rühmte, die er im Lauf seines Lebens kennengelernt hatte.

Die Kur bei ihm war so hilfreich, dass er sie im Mai 1910 wiederholte und die ebenso anregende wie heilsame Atmosphäre von Badenweiler in mehreren Berichten geschildert hat. Diese Erinnerungen werden hier überliefert.

Volker Michels – Suhrkamp Verlag

2. Auflage, 80 Seiten, 23,4 × 15,6 cm
ISBN 978-3-9811965-5-9
15 EUR

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Der Kunst- und Kulturwissenschaftler Dr. Christof Diedrichs, der Arzt und Hessekenner Dr. Christof Schnürer sowie der literaturforschende Pfarrer (i. R.) Rolf Langendörfer, bekannt für seine Literaturspaziergänge in Badenweiler sind die Autoren, die sich intensiv mit den Aufenthalten Hermann Hesses in Badenweiler beschäftigt haben und ihre spannenden Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit in diesem Buch präsentieren.

In Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag veröffentlich der Kulturverlag ART+WEISE in diesem Band einige amüsante und aufschlussreiche Briefe und Schriften H. Hesses zu seinen Kuraufenthalten in Badenweiler. Das Ergebnis ist fast schon eine kleine Sensation, wird doch belegt, dass Hermann Hesse häufiger und länger in Badenweiler war als Anton Tschechow.

Der Suhrkamp Verlag schreibt hierzu:

»Im Juli 1909 kam Hermann Hesse zum ersten Mal nach Badenweiler. Im familiär geführten Sanatorium der Villa Hedwig befreundete er sich mit Dr. Albert Fraenkel, den er 1960 in seinem Rückblick 'Ein paar Erinnerungen an Ärzte' als den bedeutendsten aller Mediziner rühmte, die er im Lauf seines Lebens kennengelernt hatte. Die Kur bei ihm war so hilfreich, dass er sie im Mai 1910 wiederholte und die ebenso anregende wie heilsame Atmosphäre von Badenweiler in mehreren Berichten geschildert hat. Diese Erinnerungen werden hier überliefert.«

Volker Michels, Suhrkamp Verlag


Unterwegs zur Seelenkur

»Ohne Ende steigt das Wasser, überschwemmt ist der Verfasser. Könnt ich doch bei Fraenkel trocken auf dem Gartenbänkle hocken.« Ob diese selbstironischen Zeilen auf die steigende Trunksucht oder den vom Regen überquellenden Bodensee Bezug nehmen, bleibt unklar. Jedenfalls spiegeln sie kaum die Dimension einer Freundschaft, die in der Fachwelt nahezu ignoriert wurde. Fünfmal weilte der Dichter Hermann Hesse in Badenweiler; zweimal, im Juli 1909 und im Mai 1910, nahm er auf Empfehlung seines Freundes, des Malers Fritz Widmann, Quartier in der »diätischen Kuranstalt« des berühmten Kardiologen und Tuberkulosearztes Dr. Albert Fraenkel.

Die Malaisen des jungen Autors waren allerdings eher seelischer denn körperlicher Natur. Sein »bäuerliches Idyll« im Bodenseedörfchen Gaienhofen drohte zu zerbrechen. Die Ehe mit der zunehmend gemütskranken Maria (Mia) Bernoulli, seine dreifache Vaterrolle, die Erwartungshaltung der Verlage nach dem erfolgreichen Erstling »Peter Camenzind« – all dies wurde zur Überforderung, hemmte den Freiheitsdrang des »Steppenwolfes«, der stärker denn je dem Alkohol zuneigte und seine Familie schließlich 1918 in Richtung Tessin verlassen sollte. In Badenweiler bedrückte ihn auch noch ein politisches Unbehagen angesichts der »überheblichen, protzigen Gesellschaft des wilhelminischen Deutschlands«. So jedenfalls erinnert sich der 83-Jährige in einer autobiographischen Skizze.

Wirklich literaturträchtig waren Hermann Hesses Kuren am Schwarzwaldrand nicht – seine berühmte Erzählung »Der Kurgast« spielt im Schweizer Baden, doch auch Badenweiler blieb im Werk nicht ohne Spiegelung. Es gibt einen »offenen Brief« an einen Freund, unter dem Titel »Kurgast« 1912 in der Zeitschrift Jugend publiziert, diverse private Briefe, die kleine Prosaskizze »Promenadenkonzert« und die Studie »Haus zum Frieden«, die durchaus Stoff für einen Roman enthält. Doch gegen Thomas Manns »Zauberberg« wollte und konnte Hesse nicht anschreiben. Feinsinnig beschreibt der Autor die diversen Kurgäste, darunter einen jungen, innerlich labilen Schriftsteller, der unverkennbar die eigenen Züge trägt: »… sein Name ist größer als er, er füllt ihn nicht aus … Der Glaube des Literaten, es liege seinem Übelbefinden … ein körperliches Leiden zugrunde, dieser Glaube war ein Wahn, und ist durch den Arzt aufgedeckt und zerstört worden.«

Der Arzt hat den Dichter wohl zu sich selbst geführt

Dieser Arzt hieß Albert Fraenkel. Mit seinen Gesprächen hat dieser Herzenshumanist – Hesse bescheinigt ihm »überlegene Intelligenz, übermenschliche Energie, Weitherzigkeit und gütige Teilnahme« – den jungen Dichter wohl zu sich selbst geführt. »Die zentrale Figur des großen Arztes« steht denn auch im Zentrum jenes fein bebilderten Büchleins »Eine raffiniert humane Kur« aus dem Kulturverlag Art und Weise, das erstmals Hesses Texte über Badenweiler zusammenfasst, ansprechend kommentiert von den Literaturexperten und Medizinern Rolf Lagendörfer, Christoph Diedrichs und Christoph Schnürer.

Kein Zweifel, der Psychologe C. G. Jung war für Hesse die eigentlich inspirative Arzt- Persönlichkeit. Doch auch der Einfluss Fraenkels auf den damals 31-Jährigen ist nicht zu unterschätzen. Schnürer beschreibt ihn als Ideal eines Arztes, »der von der Bedeutung der Kunst für die geistig-seelische Gesundheit genauso überzeugt war, wie von deren Notwendigkeit in der Heilkunde«. Wenn er ihn zwischen den Dichter Hesse und den Philosophen Karl Jaspers stellt, der als 18-Jähriger ebenfalls von Fraenkel behandelt wurde, mag Idealisierung im Spiel sein. Fest steht aber: Fraenkel war nicht nur eine charismatische Persönlichkeit, sondern ein ganzheitlich denkender Mediziner mit innovativen Behandlungsmethoden.

Umso erstaunlicher, dass der Professor für Hesses Pazifismus kein Verständnis hatte: »Nach Kriegsbeginn schrieb er mir nach Bern, er könne sich meine Einstellung etwa als ‚Verstandesneutralität‘ denken, er dagegen mit den Seinen sei ‚streng national‘.« Als er Hesse zwei Jahrzehnte später in Montagnola besuchte, war Fraenkel, der konvertierte Jude, »all seiner Titel, seiner Funktionen, seiner Ehre und Würde beraubt«. Wenig später ist er in Heidelberg gestorben. In seinem Erinnerungstext »Ein Arzt großen Stils« hat Hesse dem Seelenbegleiter aus frühen Jahren ein literarisches Denkmal gesetzt.

Das von Peter Martens publizierte Büchlein, erschienen exakt 100 Jahre nach dem ersten Besuch des Dichters in Badenweiler, wird die Hesse-Rezeption nicht tangieren. Doch bringt es zwei Figuren zusammen, die Beachtung verdienen: einen wegweisenden Mediziner und einen Autor, der mit seinen Kollegen Brecht, Mann, Musil und Kafka literarisch nicht Schritt zu halten vermochte, dessen »Herzensqualität« indes außer Frage steht.

Stefan Tolksdorf, Badische Zeitung, 31. Juli 2009